70 Vorschläge für die Innenstadt

Published On: 19/12/2023

Leerstand beseitigen, Spielplätze bieten, Klima schützen: Per Rundumschlag hat sich der erste Bürger*innenrat die Aachener Innenstadt vorgeknöpft und Vorschläge präsentiert. Was machen Politik und Verwaltung jetzt aus diesen Impulsen?

Von Alexander Plitsch

Fünf inhaltliche Säulen, 21 Themen, über 70 Vorschläge: Das ist das Ergebnis des ersten Aachener Bürger*innenrats in Zahlen ausgedrückt. An mehreren Wochenenden hat sich das neue Gremium getroffen, um über eine große und aktuelle Frage Aachens zu diskutieren: Wie kann die Innenstadt als Einkaufsziel wieder attraktiver werden? Jetzt wurden die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert.

Was steht drin?

Die Ergebnisse wurden in einem „Bürger*innengutachten“ dokumentiert und hier veröffentlicht. Darin gibt es neben allen Vorschlägen auch ein Grußwort der Oberbürgermeisterin und einige Einblicke in die Arbeits Gremiums.

Für einen schnellen Überblick haben wir die Vorschläge hier kurz und knapp zusammengefasst:

#1 Identität und Bottom-up

Ein digitales und analoges Belohnungssystem soll Bürger*innen für ein Engagement aktivieren und sie belohnen. Neben individueller Anerkennung können Belohnungen auch für Gemeinschaften, Vereine, Kindergärten etc. verdient werden.

Die Stadt soll zentral und in jeder Nachbarschaft eine analoge und digitale Anlaufstelle für Bürger*innen schaffen. Mitarbeitende der Verwaltung sollen verpflichtend Angebote des Bürgerdialogs wahrnehmen.

Bürokratieabbau soll Kreativität freisetzen und Freiräume schaffen – u.a. durch eine Befristung von Restriktionen und eine Überprüfung bestehender Regelungen und Prozesse.

Nachbarschaftsräte sollen gebildet werden, um Identität zu stiften. Das Gemeinschaftsgefühl soll durch Stadt-/Straßenfeste und ein Branding mit neuen Symbolen, Logos etc. gestärkt werden.

#2 Freizeit und Kultur

Die Aufenthaltsqualität auf den öffentlichen Flächen in der Innenstadt ohne Konsumzwang soll gesteigert werden – als bisheriges Negativbeispiel wird der Katschhof genannt (wenn dort gerade keine Veranstaltung ist). Weitere Vorschläge sind Spielplätze in der Innenstadt sowie eine Ausweitung der Fußgängerzone.

 

Der Bürger*innenrat fordert mehr Wasserspender, öffentliche WCs und Mülleimer in der Innenstadt. Bewegungsmelder sollen dunkle Ecken beleuchten. Zudem solle sich die Stadt Expertise von außen holen, „um die erfolgreichen Konzepte von Heerlen, Maastricht und Zürich zu den Problemlagen der Obdachlosen, Bettler und Drogenabhängigen zu prüfen und zeitnah umzusetzen”.

Aachen soll öffentliche Plätze für alternative Aktivitäten und als Orte der Kommunikation kostenfrei zur Verfügung stellen – etwa für Kleinkunst und Vereine. Außerdem soll die Stadt Aachen aktiver über aktuelle Veranstaltungen informieren, um diese sichtbar zu machen.

Zur Vermeidung von Leerstand soll die Stadt aktiver geltendes Recht durchsetzen. Zusätzlich sollen leerstehende Räume auch für alternative Nutzungen, etwa durch Vereine, Handwerk und Freizeitangebote, geöffnet werden. Eine reine Einkaufsstraße sei zu verhindern, auch durch die Ansiedlung von Gastronomie.

#3 Mobilität

Die Stadt soll trotz notwendiger Baumaßnahmen einen guten Verkehrsfluss gewährleisten. Dazu sollen etwa planbare Baustellen nicht parallel, sondern nacheinander abgewickelt werden.

 

Der Bürger*innenrat plädiert für ein effizientes Bussystem, einfache Tarife und Barrierefreiheit im ÖPNV. Es soll ein zusätzliches Netzwerk kleiner Busse und On-demand-Haltestellen entstehen.

Menschen mit Behinderung sollen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Die Infrastruktur für Behinderte soll ausgebaut, erweitert und regelmäßig kontrolliert werden.

Kostenlose Park+Ride-Parkplätze sollen gestärkt werden – unter anderem durch Pendelbusse mit einer Taktung unter zehn Minuten. Bei einem Einkauf in lokalen geschäften sollen Parkgebühr und Busticket ermäßigt werden.

#4 Klima

Eine Arbeitskommission zum „Extremwetter“ soll einberufen werden, um künftig , präventiv handeln zu können (etwa durch eine kartographische Erfassung).

 

Die innerstädtische Durchschnittstemperatur soll gesenkt und die Bepflanzung klimaresistent werden. Die Ausweitungextensiver Staudenpflanzungen und -wiesen soll die ökologische Diversität fördern und zugleich die Unterhaltskosten senken.

Die Aachener*innen sollen eigeninitiativ tätig werden rund um Grünstreifen und Co. Eine digitale Parzellenvergabe soll den Einsatz der „Bürgergärtner“ erleichtern.

Die Stadt soll prüfen, ob einzelne Wasserflüsse unter Aachen an die Oberfläche verlegt werden können. Damit sollen die Thermalquellen und Wasservorkommen als Besonderheit Aachens hervorgehoben werden – zusätzlich könne die Verdunstung des Wassers im Sommer das Stadtklima verbessern.

Bei der Planung öffentlicher Gebäude soll künftig eine energetische Nutzung der Fassaden und Dächer vorgesehen werden. Sollte dies nicht möglich sein (Nordlage), sollen diese Flächen mit Begrünung versehen werden. Als Beispiel wird die vertikale Begrünung durch Mooswände genannt.

 

#5 Öffentliche Räume und Leerstand

Der Bürger*innenrat schlägt vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für leerstehende Gebäude vor. Insbesondere wird das Horten-Haus (ehemals „Lust for life“) genannt, in dem das angedachte „Haus der Neugier“ aus Bibliothek und VHS realisiert werden soll. Für die Adalbertstraße schweben den Teilnehmenden Selbstbedienungscafés sowie Mehrgenerationen-Wohnen im ehemaligen Wehmeyer-Gebäude vor.

 

Auch durch mehr Werbung für Veranstaltungen soll die Innenstadt attraktiver gemacht werden. Die Mitglieder des Bürger*innenrats denken unter anderem an Stadtmarketing in der gesamten Euregio und im Drei-Länder-Eck.

Der Aufenthalt in der Innenstadt soll zum Erlebnis werden – unter anderem durch mobile Bäume mit Sitzgelegenheiten, Trinkbrunnen, eine erhöhte Präsenz des Ordnungsamtes sowie eng getaktete kleine Busse auf dem Grabenring.

Für Familien soll ein Besuch der Innenstadt attraktiver werden – etwa durch Spieloasen an mehreren Stellen sowie ein erweitertes Veranstaltungsangebot, etwa im Elisengarten (Open Air Kino, Lesungen etc.).

Wie geht’s weiter?

Am 16. Januar werden die Ergebnisse in der Sitzung des Bürgerforums vorgestellt und diskutiert, bevor am 31. Januar der Stadtrat über die Empfehlungen und das weitere Vorgehen entscheidet.

Außerdem beginnt parallel die Suche nach der nächsten Fragestellung. Aachens Bürger*innenrat ist das erste ständige Gremium dieser Art in Deutschland – regelmäßig soll er sich mit neuen Themen beschäftigen. Neue Fragen können hier eingereicht werden.

Ergebnis-Präsentation durch Mitglieder des ersten Bürger*innenrats im Suermondt-Ludwig-Museum (Foto: Christian van’t Hoen)

War der erste Bürger*innenrat ein Erfolg?

Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen stellt insbesondere einen Punkt in ihrem Grußwort zum Bürger*innengutachten in den Vordergrund – den Aspekt der Partizipation und Vielfalt: „Es wurden Menschen erreicht, die sonst vielleicht nicht auf die Idee gekommen wären, sich zu engagieren.” Ähnlich formulierte es Lea Joepen, die gemeinsam mit elf weiteren Mitgliedern des ersten Bürger*innenrates die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorstellte: „Unser vermeintlich naiver Blick auf Aachen ermöglicht, eingefahrene Muster zu hinterfragen und jenseits der bürokratischen und gesetzlichen Grenzen zu denken.“

Neben dieser Frage des Gehört-werdens soll der Bürger*innenrat aber natürlich auch konkrete Maßnahmen und Veränderungen anstoßen. Wie viele der über 70 Vorschläge eignen sich tatsächlich zur Umsetzung – wenn man auch Fragen der politischen Mehrheiten, Machbarkeit, Zuständigkeit und Finanzierbarkeit berücksichtigt?

Diese Frage müssen Politik und Verwaltung in den kommenden Wochen beantworten. Außerdem ist eine wissenschaftliche Untersuchung des Bürger*innenrats geplant. In Fragen der Vorgehensweise und Workshop-Methodik will man von Durchlauf zu Durchlauf lernen.