Rechtsaußen: Die AfD als regionales „Staubsauger-Phänomen“
Seit vielen Jahren beobachtet Michael Klarmann als Journalist die rechte Szene in der Region Aachen. Für yonu hat er aufgeschrieben, wie das Erstarken der AfD andere Gruppen verdrängt hat – und wie unübersichtlich und vielseitig die Szene sich dennoch heute darstellt.
Von Michael Klarmann
Seit Mitte Januar demonstrieren Menschen in ganz Deutschland für den Erhalt der Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Auslöser war das „Potsdamer Treffen“ und so richtet sich der Protest vor allem gegen eine Partei: die Alternative für Deutschland, kurz AfD. Bundesweit hat sie sich rund elf Jahre nach ihrer Gründung zu einer festen Größe und einer Art Sammlungsbewegung im politischen Spektrum rechts der Unionsparteien entwickelt – auch regional gesehen.
Bis vor wenigen Jahren war das rechtsradikale bis neonazistische Lager in der Region durch mehrere Parteien und Gruppierungen geprägt. Die rechtsextreme NPD, die im Großraum Aachen über Strukturen verfügte, hat sich inzwischen in „Die Heimat“ umbenannt und ist in der Städteregion Aachen marginalisiert. Auch die rechtsradikale Partei „Die Republikaner“ (REP) hat ihre Organisationsstrukturen eingebüßt. Die fremden- und islamfeindliche Splitterpartei „Pro NRW“ hat sich aufgelöst. Eine Aachener Ortsgruppe der „Identitären Bewegung“ (IB) existiert nicht mehr.
Die NPD kooperierte einst mit der 2012 verbotenen neonazistischen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). Nach dem Verbot der KAL bauten ehemalige Kader und Mitglieder zunächst einen Aachener Kreisverband der neonazistischen Splitterpartei „Die Rechte“ (DR) auf, um später unter deren parteirechtlichem Schutzschild die der KAL ähnliche Gruppierung „Syndikat 52“ (S52) zu gründen. Schlagzeilen machten die Neonazis zuletzt mit der Schändung des jüdischen Friedhofs in Geilenkirchen. Ansonsten sind die genannten Organisationen heute nahezu inaktiv im Raum Aachen.
„Staubsauger-Phänomen“ AfD
Bereits 2017 attestierte der ehemalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel in seinem Buch „Irrtum NPD“ der AfD ein „Staubsauger-Phänomen“ am rechten politischen Rand. Die AfD sauge Mitglieder, Wählerstimmen und Sympathisanten aus dem gesamten rechten Spektrum auf, während die NPD und andere Splitterparteien minimiert würden. Auch in Stadt und Städteregion Aachen ist dieser Effekt seit längerem zu beobachten. Längst ist die AfD zur dominierenden politischen Kraft rechts der Union geworden.
War die AfD in Aachen-Stadt schon früh völkisch und neurechts geprägt, so haben sich inzwischen auch die Verbände in der Städteregion und den angrenzenden Kreisen erkennbar radikalisiert. Auch hier gewinnen völkische und neurechte Kräfte zunehmend an Bedeutung und Einfluss. Der Begriff „Neue Rechte“ steht in der Politikwissenschaft und bei den Sicherheitsbehörden für eine neue, intellektuell auftretende Form des Rechtsextremismus. An einem Wort illustriert: Statt „Ausländer raus!“ heißt es nun scheinbar intellektuell formuliert: „Remigration!“
Bundesweit, vereinzelt auch regional, sind die AfD oder ihre Mandatsträger auch zum Jobmotor für ihre Mitglieder und Anhänger geworden. Die Partei, die noch vor wenigen Jahren in Teilen der Städteregion über keine oder nur wenige Strukturen verfügte, hat diese inzwischen flächendeckend aufgebaut. Die sozialen Medien und Netzwerke werden geschickt bespielt – bis hin zur indirekten Feindbildmarkierung von Medien und Journalisten, anderen Parteien und deren Politikern sowie Initiativen, Bildungseinrichtungen und Institutionen. Dabei kontrollieren die AfD und ihr Umfeld sogar lokale Facebook-Gruppen.
Spannung wegen eines „freundlichen Gesichts des NS“
Ein Rückschlag in der strukturellen Entwicklung war die zeitweise Inaktivität der AfD in der Stadt Aachen. Schon 2021 geriet Ratsmann Markus Mohr in die Schlagzeilen, weil Inhalte seiner Chats mit Matthias Helferich aus Dortmund („das freundliche Gesicht des NS“) in den Medien auftauchten. Später wurde bekannt, dass die Partei deswegen Parteiausschlussverfahren gegen Mohr und seinen Bruder, der Mitglied des Städteregionstages ist, eingeleitet hatte.
Es folgten erhebliche Differenzen, Streitigkeiten und Machtkämpfe. Schließlich lösten sich die beiden Kreisverbände Stadt Aachen und Städteregion Aachen mit dem Segen des Bezirksverbandes Köln und des Landesverbandes NRW im Sommer 2023 formell auf. Vorwiegend die Funktionäre und Mitglieder aus der Städteregion gründeten daraufhin einen gemeinsamen Kreisverband Aachen und schluckten quasi die noch aktiven Mitglieder aus der Stadt.
Fand diese Gründungsversammlung in Herzogenrath-Kohlscheid statt, so zelebrierte die AfD diesen Schritt wenige Tage später öffentlich mit einer Kundgebung auf dem Markt in Aachen. Als Redner traten Anfang September unter anderem Maximilian Krah (Sachsen) und René Aust (Thüringen) auf. Ihre Landesverbände gelten bei den Verfassungsschutzbehörden als gesichert rechtsextrem. Rund 1.500 Menschen demonstrierten vor dem Aachener Rathaus gegen die AfD.
Im Städteregionstag bildete die AfD seit der Kommunalwahl 2020 eine Fraktion. Aufgrund des Machtkampfes kam es auch hier zu Differenzen. War zunächst der Alsdorfer Bundespolizist Markus Matzerath – er unterhält gute Kontakte zum Landesverband – Fraktionsvorsitzender, übernahm später der Aachener Sascha Mohr den Chefsessel. Matzerath, der 2018 sogar für die AfD zur Wahl des Städteregionsrates angetreten war, war fortan nur noch einfaches Mitglied der Fraktion. Ende Februar 2024 ließ er diese platzen, blieb aber AfD-Mitglied. Während seine innerparteilichen Gegner ihm Untätigkeit vorwarfen, verbreiteten ihm wohlgesonnene Personen, dass Matzerath von der Gegenseite lange „gemobbt“ worden sei.
Querfront-Bildung und politische Unübersichtlichkeit
Die AfD und andere Vertreter des rechten Spektrums bemühen sich seit Jahren, an neue Proteste oder „Bewegungen“ anzudocken oder diese zu politisieren. Dabei traten die AfD-Mitglieder zuweilen zwar geschlossen auf, ohne sich dabei aber offen zu erkennen zu geben. In Aachen kam es in diesem Zusammenhang zu einer Querfront-Bildung rund um die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und gegen das Impfen. Querfront meint: Personen aus dem linken Spektrum demonstrierten gemeinsam mit Personen aus dem rechten Lager.
Dies setzte sich auch bei den Putin-freundlichen und antiwestlichen „Friedensdemonstrationen“ nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine fort. Schlossen sich in Aachen Rechte und AfD-Anhänger solchen Protesten an, die eher von Personen aus dem früheren linken Spektrum organisiert wurden, starteten sie in Düren eigene rechtsradikale und verschwörungsideologische „Friedensdemos“. Unterstützung leisteten dabei AfD-Vertreter aus der Städteregion.
Bei den Protesten gegen die Verleihung des Karlspreises 2023 an das ukrainische Volk und seinen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ging dieses Spektrum erneut auf die Straße. Man demonstrierte gegen den „Kriegstreiber“ (sic!) Selenskyj. Die Aachener Querfront war dabei an zwei Tagen aktiv. Mit dabei waren „Freie Linke“, „Querdenker“, Putin-Anhänger, Verschwörungsideologen, Rechte bis Rechtsextreme, „Reichsbürger“ und Antisemiten – angereist waren sie auch aus dem übrigen Rheinland und aus anderen Teilen Deutschlands.
Situations- und anlassbezogene Proteste
Auch an den Bauernprotesten und den jüngsten Protest-Korsos gegen die Ampel-Regierung, an denen sich Handwerker, Gewerbetreibende, Privatpersonen und Landwirte beteiligten, docken das rechte Spektrum und die AfD an. Zumindest versuchen beide, die Proteste in ihrem Sinne zu politisieren. Ein Randphänomen ist dabei die „Querdenker“-Partei „dieBasis“. Sie ist heterogen, zum Teil sind regional ehemalige AfD-Leute, Bündnis-Grüne und Mitglieder von Die Linke in ihr aktiv. Einige Parteimitglieder und -funktionäre sind zugleich mit AfD-Mitgliedern und -Funktionären vernetzt.
Zwar ist die AfD die dominierende Kraft am rechten Rand – ein einheitlicher Block existiert in der Region Aachen aber nicht. Situations- und anlassbezogen bilden sich in diesem oder im verschwörungsideologischen Spektrum mitunter neue, unübersichtliche Bündnisse und Protestformen. So stehen in der Region etwa Teile der „dieBasis“ dem Islam, Muslimen oder Menschen aus dem arabischen Raum kritisch bis ablehnend gegenüber.
Andere Anhänger dieser Partei nahmen jedoch an propalästinensischen Versammlungen teil, die häufig von Menschen mit muslimischem und arabischem Hintergrund geprägt waren und sind. Aktivisten aus dem rechten Spektrum sind politisch und optisch derweil kaum noch auf Anhieb zu erkennen. Zeitweise inszenierten sich solche etwa selbst als „Antifaschisten“, weil sie gegen die „Corona-Diktatur“ der Regierenden in Berlin demonstrierten. Geläufige Begriffe werden hier bewusst destruktiv und irreführend in ihr Gegenteil verkehrt.
Titelbild: Demo gegen Rechts im Januar 2024 auf dem Katschhof (Foto: Alexander Plitsch)