Bündnis Wagenknecht Aachen

Welche Chancen hat das Bündnis Sahra Wagenknecht in Aachen?

Published On: 05/12/2023

Die geplante Partei von Sahra Wagenknecht soll bis zur Europawahl im Juni 2024 auch in Aachen wahlkampffähig sein. Ein Antreten bei der Kommunalwahl ein Jahr später fasst man ebenfalls schon ins Auge. Doch welche Chancen kann sich die neue Partei ausrechnen?

Von Alexander Plitsch

Lange wurde in Politik und Medien gerätselt: Tut sie es oder tut sie es nicht? Sie tut es. Sahra Wagenknecht ist aus der Linken ausgetreten und plant die Gründung einer neuen Partei.

Neun weitere Bundestagsabgeordnete sind ihr auf diesem Weg gefolgt – darunter auch Andrej Hunko. Der Aachener sitzt seit 2019 im Bundestag und gilt schon lange als Mitstreiter Wagenknechts.

Anfang 2024 soll aus dem bisherigen Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ eine Partei werden. Schon im Juni könnte die Partei auf den Wahlzetteln bei der Europawahl stehen. Derzeit liege der Fokus auf dem Aufbau bundesweiter Strukturen, berichtet Andrej Hunko auf Nachfrage von yonu. Doch auch vor Ort in Aachen gebe es schon einen Unterstützerkreis: „Die Resonanz ist auch in Aachen sehr positiv, wir werden zur Europawahl wahlkampffähig sein.”

Auf die Europawahl folgen 2025 die Bundestagswahl und die Kommunalwahl. Er gehe fest davon aus, dass die neue Partei bei letzterer in Aachen antreten werde, so Andrej Hunko.

Grund genug also für ein Gedankenspiel zu den möglichen Chancen einer neuen Partei in Aachen und zu den Auswirkungen auf die anderen Parteien.

Deutlich unter fünf – oder doch bis zu 27 Prozent?

Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist noch keine Partei und ich bin kein Demoskop. Die folgenden Überlegungen sind also mit Vorsicht zu genießen. Wobei: Das wären sie wohl auch, wenn ich doch Demoskop wäre, so ungenau wie viele Umfragen in den vergangenen Jahren waren.

Seit Bekanntgabe der geplanten Neugründung jedenfalls sehen Meinungsforscher die Partei bundesweit mal bei deutlich unter 5 Prozent, mal gestehen sie ihr ein Potential von 27 Prozent zu.

Kann eine Einschätzung für Aachen also überhaupt gelingen? Erster Anhaltspunkt, um das Wählerpotential einzuschätzen, wäre natürlich das Partei- oder Wahlprogramm – das gibt es aber noch nicht. Einziger Anhaltspunkt ist das fünfseitige Manifest des Bündnis Sahra Wagenknecht.

Darin wird schnell klar: Eine Zuordnung entlang der bestehenden Parteilinien ist nicht so einfach. Natürlich sind einige klassische Punkte der Linken zu finden – vor allem unter der Überschrift „Soziale Gerechtigkeit“. In vielen anderen Punkten versuchen die Gründer einen großen Spagat, um unterschiedliche Zielgruppen zu bedienen: Da werden Klimawandel und Umweltzerstörung in einem Satz als ernste Herausforderungen genannt, „die die Politik nicht ignorieren darf“. Doch zwei Sätze weiter wird vor „blindem Aktivismus” und „undurchdachten Maßnahmen“ gewarnt. Den wichtigsten Beitrag Deutschlands sieht die Gruppe in der „Entwicklung innovativer Schlüsseltechnologien”.

Absätze wie diese bieten sehr unterschiedlichen Wählergruppen etwas an. Und das zieht sich so durch das gesamte Manifest. Im Kern steht die Kritik am Status quo und an der Politik der bestehenden Parteien. Wer damit gut erreicht werden kann? Andrej Hunko beschreibt es so: „Das sind in erster Linie Wähler, die mit den anderen Parteien unzufrieden sind und nicht mehr wissen, was sie wählen sollen.” Er denkt an Nichtwähler und Protestwähler – sieht aber auch bei den anderen Parteien Wählergruppen mit Potential für eine neue Wagenknecht-Partei.

Aachens Bezirke, in denen Linke und AfD besonders stark sind

Zunächst denkt man natürlich an bisherige Wähler der Linken bei der Frage, wer zur neuen Partei wechseln könnte. Allerdings hat die Linke in Aachen ohnehin schon stark abgebaut in den vergangenen Jahren – von über zehn Prozent bei der Bundestagswahl 2017 sind bei jüngeren Wahlen nur zwischen drei und fünf Prozent übrig geblieben.

Wenn man dann noch bedenkt, dass unter diesen verbliebenen Wählern auch viele sein dürften, die den teils linkskonservativen und populistischen Haltungen Wagenknechts wenig abgewinnen können, bleibt nicht so viel Potential. Eher wird es für die neue Partei also darum gehen, ehemalige Wähler der Linken in Aachen für sich zu gewinnen.

Schaut man bei den jüngeren Wahlergebnissen auf die Wahlbezirke innerhalb Aachens, gibt es eine Auffälligkeit: Vergleicht man, in welchen Bezirken die Linke ihre besten Ergebnisse hatte mit den Bezirken, in denen die AfD ihre besten Ergebnisse hatte, gibt es einige Überschneidungen. Und genau in diesen Bezirken wiederum ist die Wahlbeteiligung besonders niedrig. Beispiele sind die Bezirke Driescher Hof, Rothe Erde, Panneschopp und Adalbertsteinweg.

Der Gedanke liegt also nahe, dass in diesen Bezirken viele Menschen leben, die sehr unzufrieden sind mit der aktuellen Politik – und die diesen Frust entweder durch Nicht-wählen oder durch eine Proteststimme für eine Partei am einen oder anderen Ende des politischen Spektrums abgeben. Hier dürfte die neue Partei besonders gute Karten haben.

Ein Blick in die Glaskugel

Insbesondere bei der Kommunalwahl halte ich es darüber hinaus für gut vorstellbar, dass eine Wagenknecht-Partei auch den anderen Parteien Stimmen wegnimmt. Wählt die Gruppe vor Ort einen ähnlichen Weg wie im ersten bundesweiten Manifest, soziale Forderungen mit konservativen Positionen und Kritik an der Stadtratsmehrheit und der Verwaltung zu kombinieren, könnte sie möglicherweise Proteststimmen aus ganz unterschiedlichen Richtungen einsammeln.

Ob das Potential in Aachen „mit Sicherheit zweistellig” ist, wie Andrej Hunko verständlicherweise hofft, wage ich in meiner lokaldemoskopischen Glaskugel nicht auszumachen. Verrechnet mit den Proteststimmen vergangener Wahlen und davon ausgehend, dass die Wahlbeteiligung nicht deutlich steigt, erscheint mir jedoch ein einstelliges Ergebnis wahrscheinlicher.

Aber erstmal muss so eine Partei ja überhaupt gegründet werden. Warten wir es also ab.

Fotos: Deutscher Bundestag / Achim Melde