Fünf Aachener KI-Empfehlungen an die Politik
Ein Gipfeltreffen der deutschen KI-Industrie hat in Aachen stattgefunden. Dabei wurden fünf Empfehlungen an die Landes- und Bundespolitik entwickelt.
Die RWTH Aachen verfolgt mit ihrem KI-Center das Ziel, Aachen als einen der führenden universitären Standorte für KI in Deutschland und weltweit zu positionieren. In diesem Zusammenhang lud das Center bereits im Oktober zu einem Gipfel führender Köpfe der deutschen KI-Industrie nach Aachen ein.
Ziel des KI-Gipfels war es, Chancen und Herausforderungen für die deutsche KI-Industrie zu diskutieren und Empfehlungen an die Bundes- und Landesregierungen zu erarbeiten.
Wir veröffentlichen die fünf erarbeiteten Empfehlungen im Wortlaut:
1. Informatik und KI in den Lehrplänen der Schulen verankern
Künstliche Intelligenz basiert auf verschiedenen Wissensgebieten, wobei besonders die Informatik zu wenig Beachtung im Schulsystem findet. Informatik und KI müssen integraler Teil des Lehrplans und der Schulstunde werden: “Programmieren ist eine Kulturtechnik”.
Wir benötigen dringend eine Modernisierung der bestehenden überholten Lehrpläne, die dem Fach Informatik eine vergleichbare Stellung (als durchgängig unterrichtetes Pflichtfach) verschafft wie allen anderen Grundfächern. Dafür muss ausreichend Zeit geschaffen werden. In der Natur der Sache liegt, dass solche Lehrpläne regelmäßig überarbeitet werden müssen, ausgerichtet an der technologischen Entwicklung und den Anwendungen von morgen.
Es ist besser, leicht hinterher zu hinken, als gleich ganz den Anspruch aufgegeben zu haben, hinterherzukommen. Auch wenn es derzeit noch keine hinreichende Anzahl ausgebildeter Lehrkräfte gibt, müssen wir jetzt den Anspruch formulieren. In der Übergangszeit sollte mit Freiwilligen (z.B. erfahrenen Fachkräften), mit “Train the Trainer” Programmen und auch mit “virtuellen” Lehrkräften gearbeitet werden.
2. Auf Stärken und Erfolgsstories konzentrieren
Mit einer klaren Vision, die sowohl wissenschaftliche Exzellenz als auch industrielle Innovation in Berlin und Brüssel vereint, müssen wir auf den Aufbau von Erfolgsstories in Schlüsselbereichen wie beispielsweise die KI-basierte Robotik, Automatisierung- und Produktionstechnik sowie Process Mining und Prozessoptimierung setzen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Entwicklung einer einheitlichen, an europäischen Stärken und Werten orientierten Industriepolitik mit Fokus auf den Wertschöpfungsfeldern der Zukunft.
In diesem Zusammenhang sollten Themen wie ein robustes und nachhaltiges Maschinelles Lernen und eine Edge-AI — KI dorthin bringen, wo sie gebraucht wird: in die Endgeräte — sowie die nächste Generation von digitalen Zwillingen und dem industriellen Metaverse im Mittelpunkt stehen. Ziel muss es sein, durch terminierte Meilensteine und klare KPIs messbare Erfolge zu erzielen und den Nutzen von KI für Wirtschaft und Gesellschaft erfahrbar zu machen. Ob die gewählten Politikansätze tatsächlich Erfolg bringen, sollte über eine Wirkungsmessung auf deutscher und EU-Ebene nachgedacht werden.
Essenziell ist in diesem Zusammenhang die Förderung von Exzellenz und breites Enabling durch gute Rahmenbedingen, ein dynamisches Ökosystem und ein klarer Fokus darauf, neue Märkte zu schaffen und bestehende zu sichern. Nicht zielführend sind Bestrebungen, amerikanische Strategien und Erfolge lediglich zu kopieren; gleichzeitig dürfen Bedenken vor möglichen Misserfolgen nicht zu einer lähmenden Risikovermeidung führen: Mut und Ambition bestehen nicht auf Erfolgsgarantien, sondern lernen aus Erfahrungen.
3. Kräfte bündeln
Wir plädieren für die Einrichtung eines europäischen wissenschaftlich-industriellen KI-Kompetenzzentrums zur Stärkung des KI-Ökosystems und -Transfers. Eine Option hierfür wäre eine geeignete Realisierung des von Kommissionspräsidentin von der Leyen unlängst erwähnten “CERN für KI”. Öffentliche und private Mittel müssen in schnellen, messbaren und dauerhaft kompetitiven Verfahren auf KI-Vorhaben gebündelt werden, die unsere Souveränität sichern, die Lebensqualität verbessern und europäische KI-Champions schaffen.
Dieses Vorhaben sollte hinreichend ambitioniert sein, um globalen Impact erzeugen zu können. Einhergehend mit der damit verbundenen starken Fokussierung sollte das europäische und deutsche KI-Ökosystem auch weiterhin in der Breite gefördert werden.
4. Souveränität gewährleisten
Von wesentlicher Bedeutung ist der Auf- und Ausbau von technologischer Souveränität in KI-Schlüsseltechnologien. Dabei sollten Fokusthemen von strategischer Bedeutung für Deutschland und Europa durch hinreichend ambitionierte Investitionen nach folgenden Gesichtspunkten abgedeckt werden:
- Unterstützung des Aufbaus von Datenökonomien und Datensätzen, einschließlich einer kritischen Überprüfung der europäischen Datengesetzgebung;
- Sicherstellung von kritischem Know-how in der Wertschöpfung, von Chipfabrikation bis zu KI-Anwendungen;
- bei KI-Basismodellen Fokussierung auf strategische Wertschöpfungsfelder der Zukunft, z.B. industrielle Anwendungen, und Förderung von Basisforschung im Bereich der nächsten Generation großer generativer Modelle unter Safety- und Trustworthiness-Aspekten;
- Sicherstellung eines “Level Playing Fields” im Marktzugang zwischen europäischen und nicht-europäischen Spielern, beispielsweise im Bezug auf Zugang zu Daten und Recheninfrastruktur;
- Umsetzung des EU AI Act auf eine Art und Weise, die Innovation fördert und stärkt und keinesfalls verhindert. Ein entscheidender Faktor ist hierbei eine Budgetbereitstellung für qualifiziertes Fachpersonal in allen umsetzenden Behörden.
5. Zeitnahe Priorisierung, Bündelung und Unterstützung durch Expertinnen und Experten sicherstellen
Als zielführende Maßnahme zur Umsetzung dieser Empfehlungen und zum Reagieren auf zukünftige Entwicklungen regen wir die zeitnahe Priorisierung und Bündelung bspw. in einem Bundesministerium für Digitalisierung und KI mit eigenem Budget an. So können Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und die Digitalbudgets gebündelt und Synergien geschaffen werden und eine zentrale strategische Ausrichtung sichergestellt werden.
Weiterhin sollte dieses Ministerium durch einen ständigen, hochrangigen KI-Expertenrat mit starker, klar ausgewiesener technischer Kompetenz im Bereich KI-Grundlagen und -Anwendungen unterstützt werden. Ein europäisches wissenschaftlich-industrielles KI-Kompetenzzentrum könnte maßgeblich von einem solchen Ministerium profitieren.
Die Empfehlungen wurden von Professor Holger Hoos (RWTH Aachen) und Professor Kristian Kersting (TU Darmstadt und Hessian.AI) gemeinsam mit den folgenden Teilnehmenden des Treffens erarbeitet:
- Jonas Andrulis, CEO, Aleph Alpha
- Stephan Behle, Director Saint-Gobain Research Germany
- Michael Drass, Chief Expert AI, Deutsche Bahn AG
- Alexander Engels, CEO, aiXbrain GmbH
- Jörg Herbers, CEO, INFORM GmbH
- Jan Moritz Joseph, CEO, Roofline AI GmbH
- Nico Kelling, Head of CoE AI, Infineon Technologies AG
- Elma Kerz, CEO, Exaia Technologies GmbH
- Lena Kurzmann, CEO, Dialego AG
- Bastian Nominacher, Co-CEO, Celonis SE
- Hergen Schultze, Head of Data Analytics, BASF SE
- Volker Steinbiss, Geschäftsführer, AppTek GmbH
- Björn Viebrock, Geschäftsführer, PwC WpG GmbH
- Franziska Weindauer, CEO TÜV AI.LAb
Quelle: RWTH Aachen