„Dann kommt auch der Handel wieder”
Eine Häufung von Unglücksfällen habe den Einzelhandel zuletzt unter großen Druck gesetzt, sagt Jörg Hamel vom Handelsverband NRW Aachen-Düren-Köln. Doch Aachens Innenstadt bringe alles mit, um auch künftig erfolgreich zu sein: mit Bewusstsein für besondere Ecken und ohne Angst vor Veränderung.
Von Conny Stenzel-Zenner
Warum gibt es eigentlich in der Aachener Innenstadt so viele Leerstände? Liegt das an dem großen Einkaufszentrum, dem Aquis Plaza in der Adalbertstraße? Oder liegt das an den hohen Parkgebühren, weshalb niemand mehr in die Stadt kommt? Stimmt denn das überhaupt, denn die Parkhäuser sind eigentlich gut gefüllt.
„Aachen ist schön“, urteilt Jörg Hamel, Geschäftsführer vom Handelsverband NRW Aachen-Düren-Köln e.V. Mit dem Katschhof und dem Markplatz gibt es historische Plätze, die bespielt werden und Eventcharakter haben, wo immer wieder attraktive Dinge passieren, wie das NetAachen-Domspringen, das September Special und der Weihnachtsmarkt.
„Solche Angebote haben eine große Anziehungskraft, nicht nur für Touristen, sondern natürlich auch für die Einheimischen“, sagt der Geschäftsführer. Auch am Hof oder auf dem Marktplatz halten sich bei gutem Wetter die Menschen gerne auf, weil sie die Architektur schön finden.
„Häufung von Unglücksfällen“
Und wie ist die Situation auf der Adalbertstraße? Da steht das Aquis Plaza. „Das ist ein Klotz, der als Klotz gebaut wurde“, beschreibt Jörg Hamel. Die Eingänge des Konsumtempels sind so geplant, dass der Besucher reingeht und drinbleibt. Nun gibt es um das Aquis Plaza Leerstände, aber mittlerweile auch im Aquis Plaza. Gründe? Möglicherweise sind die Mieten zu hoch. Möglicherweise kommen nicht mehr genug Kunden.

Die schönen und die weniger schönen Seiten der Aachener Innenstadt: Rathaus und Katschof links, das Aquis Plaza und benachbarter Leerstand rechts.
„Das liegt nicht an Aachen“, sagt Jörg Hamel, „denn der Grund, warum viele Geschäfte in der letzten Zeit geschlossen haben, ist die Häufung von Unglücksfällen.“ So reihte sich eine Katastrophe an die nächste, besonders gut zu verstehen am Beispiel des Textilhandels.
Rückblende: Auf einmal überrollte eine Pandemie die Menschheit. Die Leute kauften online. Der Textilhandel vor Ort wurde vom ersten Lockdown überrascht, als die neue Frühjahresware gerade in den Geschäften hing. „Da mussten die Geschäftsleute sehen, wie sie überleben“, sagt Jörg Hamel.
Also hofften diese Geschäftsleute auf das Weihnachtsgeschäft, aber es kam der nächste Lockdown. „Da hatten die Händler massig Ware eingekauft, weil sie das miserable Frühjahrsgeschäft aufholen wollten.“ Dann stand die Städteregion im Wasser. Dieses Hochwasser hat die Innenstadt Aachens nicht erreicht, aber Kornelimünster, Eschweiler, Stolberg, den gesamten IHK-Bezirk bis Euskirchen. „Die Pandemie hatte die Einzelhändler schon sehr strapaziert, das Hochwasser gab ihnen den Rest und dann folgte bei vielen der Entschluss: Wir machen nicht mehr auf.“
„Wir leben nicht mehr im gelobten Land“
Die Händler, die es bis dahin geschafft hatten, erlebten eine weitere Überraschung, den Krieg in der Ukraine. Die, die bis dahin geblieben waren, erlebten wie der Preis für Gas und Strom in ungeahnte Höhen schoss und zeitgleich die Kunden ausblieben. Keiner kaufte mehr Kleidung oder elektrische Geräte.
Auch Fahrräder wollten auf einmal keinen Absatz mehr finden, denn die hatten ihre Sonderkonjunktur während der Pandemie erfahren, als alle Menschen plötzlich ganz gesund in der Natur leben wollten. Als letzte Schreckensmeldung war dann zu lesen: „Bauindustrie am Boden.“ Handwerker wurden immer teurer, ebenso wie Baumaterialien. „Unsere Wirtschaft war auf einmal in der Schräglage und wir mussten erkennen: Wir leben nicht mehr im gelobten Land.“
In der Summe knabberten diese Erkenntnisse am Einzelhandel, in dem viel Psychologie steckt. „Wenn Menschen Angst haben, dann ist die Kauflaune vorbei“, erklärt Jörg Hamel.
Leben in einer globalen Welt
Wieder zurück zum Textilhandel. Früher deckten sich die Menschen ab September mit Winterware ein. „Wenn im Oktober noch die Thermometer 27 Grad zeigen, will niemand Wollschals, Kaschmir-Pullover oder gefütterte Winter-Wanderhosen“, bringt Hamel ein Problem des Einzelhandels auf den Punkt.
Die Art des Konsums hat sich also flächendeckend geändert, aber auch die Arbeitszeiten im Handel und in der Gastronomie. Öffnungszeiten werden diskutiert, weil nicht mehr genügend Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Auf einmal sind Restaurants ganze Tage geschlossen.
„In anderen Bereichen sind die Lieferketten problematisch“, weiß Jörg Hamel. Da standen Container in China, weil Transportwege nicht mehr funktionierten. Da fehlten auf einmal Rohstoffe. „Da merkten wir, dass wir in einer globalen Welt leben“, sagt Jörg Hamel.
„In Aachen haben wir eine tolle Innenstadt“
Gibt es die Leerstände nur in Aachen? „Wir haben im deutschen Einzelhandel die beschriebene Problemlage, die für die Leerstände sorgt“, fasst der Geschäftsführer zusammen. Auch in Toplagen in Köln seien große Flächen nicht mehr rentabel.
Aachen bringt alles mit, was eine Innenstadt braucht, um erfolgreich zu sein. Die stärksten Treiber sind Plätze, an denen sich die Besucher wohlfühlen. Die Architektur muss schön sein, aber auch Sicherheit und Sauberkeit müssen gegeben sein.
„In Aachen haben wir eine tolle Innenstadt. Die Idee, den Büchel nicht zu bebauen, sondern mit einer Freifläche zu punkten, war sehr gut“, sagt Jörg Hamel. Stellen, die noch bearbeitet werden müssen, seien der ehemalige Lust for Life Komplex sowie der Bushof. „Die Einkäufer müssen sich wohlfühlen und dann kommt auch der Handel wieder“, orakelt Hamel.

Auch frische Blumen können nicht über das Trübsal am ehemaligen Lust for Life Gebäude und im angrenzenden Dahmengraben hinwegtäuschen.
Wie selbst ein totgeglaubtes Einkaufszentrum wieder mit Leben gefüllt wurde, weiß der Geschäftsführer. In Köln Chorweiler hat sich der Riese REWE in das Einkaufszentrum eingemietet und damit die Nahversorgung des Stadtteils übernommen.
Was bedeutet das für Aachen?
Stadtplaner müssen sich der besonderen Ecken bewusst sein, vor Veränderungen darf niemand Angst haben und von anderen Städten kann jeder lernen. Da erzählt Jörg Hamel von einem wunderbaren Beispiel: In Köln gibt es ein Textilgeschäft am Friesenplatz. Vor dem Eingang hatte ein Obdachloser einen Platz gefunden. Anstatt sich über ihn zu ärgern, wurde er jeden Morgen mit Handschlag begrüßt. Und letztlich hat er aufgepasst, was so alles vor dem Geschäft passierte.
Wie kann Aachens Innenstadt denn wieder ein attraktives Einkaufsziel werden? „Es geht immer nur miteinander, nicht gegeneinander“, fasst Jörg Hamel zusammen und freut sich auf die Stadtentwicklung.