Wir brauchen eine Demokratie- und Medieninitiative
In Potsdam gab es ein Geheimtreffen, das nicht geheim geblieben ist. Ganz im Gegenteil: Alle Welt spricht nun von diesem Treffen – und so wurde daraus der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Ein Kommentar von Alexander Plitsch
In einer Chat-Gruppe des Recherchenetzwerks Correctiv habe ich bereits am Vorabend der Veröffentlichung vom Potsdamer Treffen mit AfD-Beteiligung erfahren. Und ich muss zugeben: Die Wirkung der Enthüllung habe ich völlig unterschätzt.
„Das könnte Bewegung in die Diskussion über ein AfD-Verbot bringen”, schrieb jemand im Chat – und ich dachte: „Wirklich? Eigentlich steht da doch nichts, was wir nicht schon wissen?!”
Aber offensichtlich hat sich in den vergangenen Monaten bei vielen Menschen in Deutschland etwas angestaut: insbesondere die lokalen Erfolge der AfD in Ostdeutschland und die aktuellen Umfragewerte auf Landes- und Bundesebene.
Seit dem Bekanntwerden des Treffens in Potsdam sind Hunderttausende bei über 100 Demos auf die Straße gegangen. In den sozialen Medien äußern sich viele Menschen, prominent und nicht prominent. „Remigration“ wurde zum Unwort des Jahres 2023 gewählt.
Mit Demonstrationen ist es nicht getan
Die sofortige, klare und breite Reaktion der Gesellschaft macht Mut. Immer wieder sprechen AfD-Politiker von der „schweigenden Mehrheit“, die sie an ihrer Seite wähnen – die aktuellen Bilder aus der ganzen Republik zeigen, dass sie falsch liegen.
Doch mit Demonstrationen ist es natürlich nicht getan. Wenn wir den viel bemühten Spruch „Nie wieder ist jetzt“ ernst nehmen, braucht es weitere entschlossene Schritte gegen den drohenden Rechtsruck. Und diese Schritte beginnen vor Ort, im Lokalen.
Es ist kein Zufall, dass in den Orten, in denen die AfD zuletzt Erfolge feiern konnte, die demokratischen Parteien kaum noch aktiv und präsent waren. Die Menschen in diesen Regionen sind besonders enttäuscht von der etablierten Politik. Sie sind verunsichert, fühlen sich benachteiligt, haben Zukunftsangst.
Es wäre naiv, zu glauben, dabei handele es sich um ein „Ostproblem“. Das Vertrauen in Politik und Institutionen ist überall gesunken. Wo dieses Misstrauen besonders groß ist, wo Menschen sich nicht gehört fühlen, sich nicht beteiligen können – da wird der Rechtspopulismus gestärkt, da sehen auch Rechtsradikale ihre Chance.
Zur Demokratie gehört auch Medienvielfalt
Deshalb ist es ein völlig falscher Schritt, wenn die Bundesregierung wie geplant Gelder für Freiwilligenprogramme und Demokratieförderung kürzt. Das Gegenteil wäre richtig. Eine lebendige Demokratie vor Ort, eine Stadtgesellschaft mit vielen Beteiligungsmöglichkeiten und politische Bildung in der Schule und an außerschulischen Bildungsorten – das sind wirksame Instrumente gegen Rechts, die an der Basis ansetzen.
Zu einer funktionierenden Demokratie vor Ort gehört auch der Lokaljournalismus. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ohne Qualitätsjournalismus in der Region das Vertrauen in lokale Institutionen und die Wahlbeteiligung sinken. Leider gibt es in Deutschland immer mehr Regionen ohne lokale Medienvielfalt – es drohen gar „Nachrichtenwüsten“ ganz ohne Lokaljournalismus, wie es sie zum Beispiel in den USA schon länger gibt.
Wir brauchen eine breite Demokratie- und Medieninitiative im Lokalen. Der Staat kann hierfür Verantwortung übernehmen durch Fördergelder und die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Journalismus. Die Demonstrationen dieser Tage zeigen eine große Entschlossenheit der Menschen, sich dem Rechtsruck entgegenzustellen. Verantwortliche in Politik, Verwaltung und Medien können dieses Momentum nutzen und den Widerstand nachhaltig unterstützen. Denn es stimmt ja: Nie wieder ist jetzt.
Titelfoto: Michael Klarmann (Demonstration gegen Rechts in Aachen am 20. Januar 2024)