Von der Pontstraße an die Weltspitze: Die Nachrichtenagentur Reuters
Reuters, benannt nach Gründer Paul Julius Reuter, zählt zu den größten Nachrichtenagenturen der Welt. Auf dem Weg zur Gründung in London 1851 machte Reuter eine entscheidende Zwischenstation in Aachen.
Von Calvin Meyer
Der Name Reuters ist heute wohl fast jedem geläufig. Die Londoner Nachrichtenagentur ist eine der größten der Welt. Ihren Namen hat sie von Gründer Paul Julius Reuter. Weniger bekannt ist, wo Reuter seine Karriere begann. Denn die erste Nachrichtenagentur unter seinem Namen wurde nicht in London, sondern in Aachen gegründet. Genauer gesagt: in der Pontstraße.
Der Werdegang Reuters
Reuters Geschichte begann am 21. Juli 1816 in Kassel. Ursprünglich trug der gebürtige Jude den Namen Israel Beer Josaphat. Er wuchs in der Kasseler Altstadt auf und wurde als junger Erwachsener Bankkaufmann.
Während seiner Lehre zog Josaphat nach Göttingen, wo er Bekanntschaft mit dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß machte. Dieser arbeitete damals mit Wilhelm Eduard Weber zusammen – beide waren maßgeblich an der Entwicklung des Telegraphen beteiligt. Josaphats Bekanntschaft zu den beiden prägte maßgeblich seinen späteren Lebensverlauf.
Josaphat zog nach Berlin und lernte dort Ida Maria Magnus kennen, eine zum Christentum konvertierte gebürtige Jüdin. Ihre Familie besaß damals eines der größten Berliner Bankunternehmen. Josaphat selbst konvertierte 1845 ebenfalls zum Protestantismus und änderte seinen Namen in Paul Julius Reuter. Kurz danach heirateten die beiden.
Der liberal und demokratisch eingestellte Reuter verfasste während der Revolution von 1848 mehrere Schriften gegen die politischen Umstände in Deutschland. Deshalb mussten er und seine Frau Preußen vorübergehend verlassen und siedelten nach Paris um. Dort knüpfte Reuter als Übersetzer Kontakte mit der lokalen Presse. Damit stand der Beginn seiner neuen Karriere in den Startlöchern.
Anfänge in Aachen
Als das Ehepaar Reuter 1850 nach Preußen zurückkehrte, zogen sie nach Aachen. Die Adresse lautete Pontstraße 117. Reuter hatte die Kaiserstadt nicht zufällig gewählt. Es gab zu dieser Zeit bereits Telegraphenlinien zwischen Paris und Brüssel und zwischen Aachen und Berlin. Dazwischen lag jedoch eine Lücke, in der Nachrichten nur per Kutsche oder Eisenbahn übermittelt werden konnten. Diese wollte Reuter füllen.
Im Wohnhaus des Paares an der Pontstraße gründete er die Nachrichtenagentur Reuters. Dort hatte er ein Büro, in dem er sich Nachrichten per Telegraph aus Berlin übermitteln ließ. Reuter trug diese zusammen und schickte sie mit Brieftauben weiter, die auf dem Dach des Hauses starteten und landeten. Die Tauben erreichten Brüssel schneller als die damalige Eisenbahn. Reuters Kontakte in Brüssel gaben die Nachrichten per Telegraph nach Paris weiter und schickten die Tauben mit Pariser Nachrichten zurück nach Aachen.
Mit diesem Geschäftsmodell kontrollierte Reuters für kurze Zeit große Teile des Nachrichtenflusses zwischen den preußischen und französischen Hauptstädten über seine Agentur in der Pontstraße. Hauptsächlich übermittelte er Börsenkurse.
Reuters Monopol auf diesen Nachrichtenfluss war einmalig, aber auch von kurzer Dauer. Bereits ein Jahr später wurde eine Telegraphenlinie verlegt, mit dem Reuters Tauben sich nicht messen konnten.
Aufstieg in London
Für Reuter war Aachen aber nur das erste Kapitel. Mit seiner Frau und seiner Firma zog er nach London um, wo die Agentur Reuters rechtlich neu gegründet wurde. Aufgrund seiner Erfahrungen mit Gauß und Weber wusste er mit Telegraphen umzugehen – zudem hatte er noch immer seine Kontakte in Paris.
Anfangs übermittelte er Börsenkurse zwischen Frankreich und Großbritannien, dann ließ er mit seinem eigenen Geld Telegraphenlinien durch Südengland verlegen. Schiffe aus Amerika mit Kurs auf London überlieferten ihre Nachrichten bald bereits in Cornwall. Reuters konnte sie in London abdrucken, bevor die Schiffe selbst dort eintrafen.
Ebenfalls revolutionierte Reuters die Verfassung von Nachrichtenanzeigen. Zeitungen dieser Zeit druckten Gerüchte genauso oft ab wie bestätigte Fakten und das oft erst Tage oder Wochen später. Reuters Art, Meldungen kurz, sachlich und schnell weiterzugeben, war außergewöhnlich. Die Talente des gebürtigen Hessen sorgten dafür, dass Reuters vom Anfangsjahr in Aachen binnen zwei Jahrzehnten zum weltweiten Marktführer aufstieg. Die Agentur hatte bald Büros in jeder großen Stadt der Welt.

Heutige Firmenzentrale von Reuters in London (Quelle: Reubentg, Wikimedia)
Das Vermächtnis
Paul Julius Reuter selbst gab 1878 die Führung der Firma an seinen Sohn ab. Er blieb jedoch bis zu seinem Tod 1899 in Nizza am Erfolg von Reuters beteiligt. Sein Grab befindet sich in London.
Die Geschichte der Agentur ging weiter. Heute besitzt Reuters das größte private Kabelnetzwerk der Welt, ist in über 160 Ländern vertreten, hat mehrere Pulitzer-Preise gewonnen und ist eine der bekanntesten Nachrichtenagenturen weltweit.
Hätte Paul Julius Reuter nicht sein formatives Jahr in Aachen erlebt – oder hätte er nach dem Rückschlag durch die Telegraphenlinie aufgegeben – würde nicht nur seine Firma nicht existieren. Auch die Art, wie Nachrichten verfasst werden, hätte sich möglicherweise anders entwickelt. Die heutige Nachrichtenwelt wurde dadurch geprägt, dass ein einzelner kluger Geschäftsmann vor 175 Jahren in einem unscheinbaren Haus in Aachen seine Karriere begann.
Und was wurde eigentlich aus diesem Haus? Das „Reuters House” ist heute das Zuhause eines japanischen Restaurants. Tokyo Sushi & Fusion Kitchen heißt das Lokal, das die Pontstraße 115 und 117 belegt. Neben der Eingangstür befindet sich eine Plakette, die an Paul Julius Reuter und sein Jahr in Aachen erinnert.
Titelbild: Eine Plakatte in der Pontstraße erinnert an Paul Julius Reuter (Quelle: Iris Reinhardt, Wikimedia) / Porträt des Unternehmers im Alter von 53 Jahren (Rudolf Lehmann, Wikimedia).