Wärmkomp Burtscheid

Singende Badenixen

Published On: 25/11/2024

Das Pop-up-Thermalbaden open air in Burtscheid, umsonst und für alle, ist leider vorzeitig beendet worden. Aber vielleicht nur vorläufig.

Von Bernd Müllender

Das Wasser plätschert die breite silbern-glänzende Edelstahlrampe herunter und dampft emsig vor sich hin. Gut ein Dutzend Leute sitzt schon in den drei kleinen Pools. Also los: Füße waschen, und nichts wie rein. Och, ist das schön warm. Draußen die kühle Novemberluft, jetzt dieser wärmende Glücksmoment im naturbelassenen Thermalwasser aus dem Untergrund.

Alle lächeln, wie prickelnd das ist, wie schön. Mit 62 Grad kommt das Wasser oben an, unten hat das Fußbecken 33 Grad, knapp 40 das tiefere Beinbad, 44 vorne der Ganzkörperpool. Es schmeckt leicht salzig, nur minimal schwefelig. Einer rechnet vor: „Eine halbe Stunde und du fühlst dich Jahre jünger.“ Und wieder kommen ein paar Neugierige mit Handtuch über der Schulter.

Burtscheid, der kleine Kurpark. Ein heimeliges Stück Stadt, Rasenflächen, Müßiggang, Flanierzone, fast kein Autolärm. Und mittig, direkt hinter dem Springbrunnen, dieses Pop-up-Thermalwasserbad. Das erste und einzige in Deutschland. Benutzung kostenlos. Sein Öcher Name: „Wärm Komp“, zu deutsch: warme Schüssel.

Entstanden ist der Badespaß (Netz: waermkomp.jetzt) unter Federführung der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen. Projektplanung: zwei Jahre. 150 Freiwillige, 15.000 unbezahlte Arbeitsstunden. 50.000 Euro Kosten, geschultert meist über Spenden. Die Badelandschaft gebaut (Holzkonstruktion, ausgekleidet mit Folien) haben Architektur-Studierende der Fachhochschule. Es gilt: „A hot pool is cool.“

„Abermilliarden mineralienpralle Wassertropfen”

Die Thermalwasserstadt Aachen hat dutzende unterirdische Quellen, die heißesten nördlich der Alpen (bis 72 Grad). Schon die Römer plantschten ausgiebig. Später wählte Karl der Große hier seinen Lebensmittelpunkt, die Heilwässer sollten gegen kaiserliche Leiden wie Gicht und Rheuma helfen.

Ohne Thermalwasser gäbe es Aachen also wahrscheinlich gar nicht oder nur als Dörfchen neben einer Hauptstadt Würselen oder Herzogenrath. Heute wird der Schatz aus dem Untergrund weitgehend ignoriert. Abermilliarden mineralienpralle Wassertropfen versickern ungenutzt.

Die Behörden mussten vom Wärm Komp erst überzeugt werden, Amt für Amt, Abteilung für Abteilung, Stadtplaner, Denkmalschutzbehörde. Davon berichtet Projektleiter Uli Lieser, 66. Der Hydrogeologe und Thermalhistoriker erzählt vom Hürdenlauf vor allem beim skeptischen Gesundheitsamt: Ist dieser komische Komp auch verkehrssicher, hygienisch unbedenklich?

Vorgabe: wöchentliche Untersuchung. Bald waren die Werte von E-coli und Pseudomonas-Bakterien zu hoch. Das Amt setzte eigene Maßstäbe an, deutlich strenger als die EU-Badeverordnung. Hieß dennoch: Keine direkte Gesundheitsgefahr, aber ein Alarmzeichen.

Gegenmaßnahmen: Fuß-Desinfektionsmittel, zugeschnittene Kunststoffmatten, mehr Kontrolle der Badenden. Und intensives Reinigen: „So sehr“, sagt Lieser, „habe ich noch nie meine eigene Badewanne saubergemacht.“ Die Werte stiegen trotzdem.

Aachens Vorbild war – nomen est omen – die schweizerische Stadt Baden. Seit Jahren gibt es dort Outdoor-Thermalbäder,  auch zivilgesellschaftlich initiiert und mit riesigem Zuspruch. Aber ohne deutsche Bürokratie. „Die Behörden messen dort einmal im Monat, es gibt keine Probleme“, so Uli Lieser.

Badefreuden mit Begleit-Events

Manche Badetage Ende Oktober fielen aus, Badewillige mussten trockenen Fußes und enttäuscht wieder abziehen. Dann war zumindest das Fußbad wieder auf. Warum kein Chlor? „Wollten wir nie“, sagt Lieser, dann sei das naturbelassene Baden dahin. Alles mit großem Schild „Auf eigene Gefahr“? – „Geht so einfach in Deutschland nicht. Ich gelte als verantwortlicher Betreiber eines Heilbades. Irgendwann erklärt sich jemand für erkrankt und verklagt mich.“

Zu den Badefreuden, die hunderte Menschen jedes Wochenende genossen, gehörten diverse Begleit-Events: Fußbad-Yoga, Kabarett, kleine Konzerte. Einmal berichtete eine Japanerin aus Aachen von den 2700 Thermalquellen („Onsen“) in ihrer Heimat, genutzt für körperliche und seelische Reinigung. Eine besondere Delikatesse sind Onsen-Eier, die bei 60 Grad im Thermalwasser lange von innen nach außen garen statt umgekehrt wie bei uns. Komp-Mitstreiterin Petra Emonts, selbst Kochlehrerin, hatte solche Eier mitgebracht. Welche Köstlichkeit! Das Eigelb war gestockt, das Weiße kein Glibberkram sondern eine köstlich-sahnige Creme.

An einem Samstag traten sechs Chöre auf, etwa die „Badenixen“, Sänger des ehemaligen Schwulenchores „Warme Wellen“ und in Bademänteln und Badekappen das Männer-Vokalensemble „Bin Singen“. Das Publikum staunte, wie viele Klassiker und Welthits es zum Thema Wasser gibt. Bin Singen hatte „Das ist die Liebe der Matrosen“ alters- und heilbadgerecht umgetextet zum umjubelten „Das ist das Leben mit Arthrosen“.

Das Motto lautete: „Lieder aus der Bütt – Aachener Chöre gehen baden“. Doch dann standen die SängerInnen nicht wie geplant im, sondern vor dem dampfenden Badekomp. Denn mit dem Wohlklang musste das Wohlfühlen leider beendet werden, sechs Wochen früher als geplant.

41 Gutachten in sechs Wochen

Das Gesundheitsamt hatte den Weiterbetrieb zwar nicht verboten, aber für „nicht vertretbar“ erklärt. Die Initiative schloss sich dem an. Jede Woche neue Gutachten, auf eigene Kosten, jeweils à 200 Euro von einem zertifizierten Labor, es reichte. 41 solcher Gutachten waren zusammengekommen in sechs Wochen.

Gemeinsam mit dem Gesundheitsamt mutmaßt man den direkt benachbarten, lange von der Stadt nicht gereinigten Springbrunnen als Keimquelle. Was über Aerosole einmal in die Becken kam, ist aus kleinsten Ritzen nicht mehr rauszukärchern und zu -schrubben. Bei 40 Grad vermehrt es sich explosionsartig jedes Mal neu. Uli Lieser sagt: „Trotz vorzeitigem Ende: Die Behörden haben gelernt, dass sie uns Bürger nicht unterschätzen dürfen.“

Die Kulturevents gehen weiter. Und es könnte sein, dass sich zur großen Abschlussparty am 7. Dezember Unbelehrbare noch einmal in die  wärmenden Wässer stürzen, trotz der unbarmherzigen und bürgerfeindlichen Keime.

Stiftung und Stadtteilkonferenz wollen in Burtscheid jetzt mit Steinbecken à la Schweiz einen neuen Badebrunnen planen. Dazu fordern sie von der Stadt eine Machbarkeitsstudie. Eine Idee auch für die quellenreiche Aachener City?  So ein Komp am Büchel wäre sicher ein Tourismus-Magnet. 2025 ist Kommunalwahlkampf, sicher mit Badethema.

Derweil hat ein Architekturbüro rund um die Debatte Antoniusstraße allen Ernstes vorgeschlagen, ein neues Bordell nebenan auf das Dach des innerstädtischen alten Horten-Kaufhauses zu bauen, mit großer Badelandschaft aus hochgepumptem Thermalwasser. Die Debatten über den Dach-Puff sind fast so ergiebig wie die Quelle „Großer Monarch“ direkt neben dem Gebäude.

 

Bildquelle: waermkomp.jetzt