Stadt, Land, Bund: Wer kann die Kitakrise lösen?
Für viele Eltern mit Kleinkindern beginnt das neue Jahr, wie das alte aufgehört hat: mit Hiobsbotschaften aus der Kita. Der Frust ist groß, die Wut wächst – aber auf wen eigentlich genau? Welche politische Ebene ist in Sachen Kita für was zuständig? Und wer kann die Situation verbessern?
Von Alexander Plitsch
Meine Cousine an Weihnachten, Freunde im Silvesterurlaub, der Kollege am ersten Tag nach den Ferien: Sie alle haben von Einschränkungen des Kita-Angebots in den vergangenen Wochen berichtet – sie alle rechnen mit weiteren Problemen in den kommenden Monaten.
In einer gemeinsamen Recherche mit CORRECTIV.Lokal und anderen Lokalmedien hat yonu gezeigt, wie sich der Personalmangel auf das Betreuungsangebot ausgewirkt hat. Dabei traf es die Region Aachen im vergangenen Kita-Jahr besonders hart: Über 900 Mal mussten Kitas in der Region melden, dass sie ihr Betreuungsangebot einschränken, jede zweite Kita war betroffen.
Im aktuellen Jahr scheint die Lage ähnlich angespannt zu sein – zuletzt machten Eltern wieder mit Protestaktionen auf die Probleme aufmerksam.
Die angestaute Wut, wer will sie den betroffenen Familien verübeln? Aber: Wohin eigentlich mit dieser Wut? Wer ist wofür verantwortlich – und wer könnte etwas an der Situation verbessern?
Wie so oft im deutschen Föderalismus ist die Antwort gar nicht so einfach – und deshalb schauen wir einmal genauer hin.
Ein Rahmen und 16 eigene Landesgesetze
Kitas sind in Deutschland ein Teil der Kinder- und Jugendhilfe und fallen deshalb in den Zuständigkeitsbereich des Familienministeriums, nicht des Bildungsministeriums. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz legt bundesweit den Rechtsanspruch auf Betreuung fest und regelt Grundlagen der Betreuung in Tageseinrichtungen sowie in der Tagespflege.
Für alle Regelungen im Detail gibt es innerhalb dieses gemeinsamen Rahmens 16 eigene Landesgesetze – in NRW ist das das Kinderbildungsgesetz (KiBiz), federführend entwickelt übrigens von einem Aachener: Armin Laschet, seinerzeit Familienminister in NRW.
Im KiBiz sind Aufgaben und Ziele der Kindertagesbetreuung definiert, die Bedarfsplanung oder der Bau sowie die Raumausstattung und Organisation von Einrichtungen. Die einzelnen Regelungen, etwa zum Personalschlüssel, unterscheiden sich teils stark von den Gesetzen anderer Bundesländer.
Die Kommunen wiederum sind verantwortlich für die konkrete Planung und Durchführung vor Ort und für einen großen Teil der Finanzierung von Angeboten der Kindertagesbetreuung.
Damit aber noch nicht genug: Innerhalb jeder Kommune gibt es auch noch eine meist bunte Landschaft der Kita-Träger. Nur rund ein Viertel der Kitas in NRW wird von den Kommunen selbst betrieben – der Rest befindet sich in freier Trägerschaft und wird etwa von Wohlfahrtsverbänden oder den Kirchen betrieben.
Die meisten Hebel hält die Landesregierung in der Hand
Und damit zurück zur Ausgangsfrage: Bei welchen Verantwortlichen sind Wut und Forderungen der Kita-Eltern an der richtigen Adresse?
Zu spüren bekommen den Frust zuallererst die Beschäftigten in den Kitas. Doch da ist er wohl selten angebracht. Im Gegenteil: Diese sind selbst vor allem Opfer des Personalmangels und beschreiben oft eine hohe Belastung durch die Situation.
Schon mehr Einfluss auf die Lage haben die lokal Verantwortlichen in Politik und Verwaltung: Sie gestalten viele Rahmen- und Arbeitsbedingungen vor Ort und haben Einfluss darauf, dass offene Stellen besetzt werden und Nachwuchs gefunden wird.
Die meisten Hebel hält jedoch die Landesregierung in ihren Händen. Um die finanziell stark unter Druck geratenen Kitas zu unterstützen, hat die schwarz-grüne Regierung in Düsseldorf im Herbst beschlossen, 550 Millionen Euro zusätzlich auszugeben. Insgesamt stehen im Landeshaushalt 2024 über fünf Milliarden Euro für die frühkindliche Betreuung zur Verfügung.
Die Landesregierung ist es auch, die darüber entscheidet, ob das „Aachener Modell“ umgesetzt werden darf. Eine Arbeitsgruppe in unserer Region plant, den Quereinstieg von ungelernten Hilfskräften in den Kitas zu erleichtern, um die Einrichtungen zu entlasten. Doch der Vorschlag ist inzwischen über ein Jahr alt – von Familienministerin Josefine Paul (Grüne) fehlt eine klare Aussage, ob das Modell eine Chance bekommt.
Bleibt nur noch der Bund: Neben der Rahmengesetzgebung hat die Bundespolitik in den vergangenen Jahren immer wieder Impulse für die Kitas gesetzt – und mit Bundesmitteln etwa den Ausbau der Ganztagsplätze oder das pädagogische Angebot gefördert.
Wo bleibt die Initialzündung?
Kommune, Land und Bund: Auf allen Ebenen haben Verantwortliche Einfluss auf das Gelingen der Kita-Betreuung. Da die Betreuungslage überall im Land angespannt ist, liegt aber der Schluss nahe, dass es ganzheitliche und bundesweite Ansätze braucht, um die Situation nachhaltig zu verbessern.
Subsidiarität und Autonomie vor Ort können im besten Fall Stärken unseres Systems sein – im Falle der Kitas ist augenscheinlich eine Schwäche daraus geworden. Diagnostiziert wurde dies bereits vor vielen Jahren, etwa in einer OECD-Studie von 2004. Darin wird das Fehlen nationaler Standards kritisiert – zu den vielen Modellen und großen regionalen Unterschieden heißt es: „Langfristig erscheint eine solche Vielfalt inakzeptabel und nicht im Interesse der Kinder und Familien zu liegen.”
Im vergangenen Jahr hat ein breites Bündnis aus Stiftungen und Verbänden ebenfalls die Notlage im Bildungssystem, in den Kitas und in den Schulen, angeprangert. Da es nicht praktikabel sei, „auf eine Neuordnung der kommunalen und föderalen Zuständigkeiten zu warten“, forderten die Unterzeichner des Appells „eine Initialzündung auf den höchsten politischen Ebenen“ in Form eines nationalen Bildungsgipfels.
Zu einem solchen Gipfel hatte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zuvor tatsächlich eingeladen. Doch aus der geplanten Initialzündung wurde eine Fehlzündung: Gleich 14 zuständige Landesminister blieben dem Gipfel fern – „Showveranstaltung“, „fehlende Vorbereitung“, „falscher Fokus“ lautete die Kritik aus den Ländern.
So schnell wird sich an der Notsituation für Familien und Beschäftigte also vermutlich nichts ändern. Die Wut wird bleiben, vielleicht sogar wachsen. Und die Proteste werden weitergehen – demnächst womöglich mit Bobbycar-Sternfahrten und Dreirad-Sperrungen an der Autobahnauffahrt . . .