Bildband: Aachen 1944 – Häuserkampf und Trümmerwüste
Zum 80. Jahrestag der Befreiung Aachens vom Nationalsozialismus erscheint der Bildband „Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Aachen 1944/45. Bilder amerikanischer Militärfotografen“. Er zeigt das Ende eines „godverdomme“ Wahnsinns.
Von Michael Klarmann
Zwei Sherman-Panzer und einige Soldaten rücken vor. Es ist der 15. Oktober 1944, rund 150 Meter von der Stelle entfernt, an der in den 1950er Jahren das Haus gebaut werden wird, in das ich 1990 einziehen werde. In dem historischen Schulgebäude links werde ich jahrelang meine Stimme bei Wahlen abgeben. Links neben den Panzern ist ein Haus zu sehen, in dem Jahrzehnte später Bekannte ausgelassene Feste feiern werden.
Etwas weiter hinten links im Bild sieht man eine Häuserzeile von Altbauten – in einem werden ab Mitte der 1990er Jahre Freunde wohnen. Hier werden dann wilde Partys gefeiert, auf dem Dachgarten, in den Wohnungen und im Innenhof. 1944 aber tobt genau hier der Häuserkampf, die Straße liegt voller Trümmer, Fenster und Rollläden sind zerborsten. Die Motoren der Sherman-Panzer dröhnen.
Fotografien des Signal Corps
Aachen war die erste deutsche Großstadt, die im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten erobert wurde. Begleitet wurden die Kämpfe auf amerikanischer Seite von Militärfotografen des Signal Corps. Anlässlich des Festaktes am vergangenen Sonntag und der Veranstaltungsreihe „Aachen 1944 und der Weg in die Demokratie“ hat das Stadtarchiv ein Buch mit 80 Bildern dieser Militärfotografen herausgegeben.
Die oben (einschließlich meiner Erinnerungen) beschriebene Szene aus dem Häuserkampf im Oktober 1944 ist auf einem der Fotos zu sehen. Der Band enthält auch Fotos, die hinlänglich bekannt sind, wie beispielsweise das des durchbrechenden Sherman-Panzers am Bahnhof Rothe Erde. Jedoch kennen viele zwar das Bild, aber nur wenige kennen den Grund für den ungewöhnlichen Weg des Panzers.
Die Wehrmacht hatte die Eisenbahnbrücke über die Trierer Straße gesprengt, um den US-Truppen den Weg in die Innenstadt zu versperren. Amerikanische Bergepanzer räumten daraufhin den Torbogen und den eigentlich nur für Fußgänger bestimmten Durchgang des benachbarten Bahnhofs frei. So konnten die amerikanischen Panzer und Truppen die Trümmer der Brücke ohne einen weiten Umweg bewältigen. Bald darauf sammelten sie sich auf dem Vorplatz, um dann geschlossen vorzurücken. Auch das zeigt eines der Fotos.
Am 13. Oktober 1944 begann der Angriff
Die Kämpfe um Aachen dauerten mit Unterbrechungen vom 12. September bis zum 21. Oktober 1944, dem Tag der Kapitulation der eingeschlossenen deutschen Soldaten. Zuvor hatten amerikanische Streitkräfte Roetgen und die damals noch nicht zu Aachen gehörenden Ortsteile Walheim und Kornelimünster befreit. Auch im Nordkreis waren die Alliierten bereits vorgerückt. So entstand eine Art Belagerungsring.
Schließlich rückten die US-Truppen über Brand und Forst vor, und am 13. Oktober 1944 begann der Angriff auf das Kerngebiet der Kaiserstadt. Hauptachsen des Angriffs waren zunächst der Adalbertsteinweg und für die Truppen aus Nordwest die Jülicher Straße. Es kam zu Kämpfen um Straßenzüge und einzelne Häuser, die auf beiden Seiten viele Opfer forderten.
Die Militärfotografen des Signal Corps hatten dabei zwei Hauptaufgaben: Zum einen sollten sie Fernmelde- und Funkverbindungen herstellen. Darüber hinaus waren der Einheit Soldaten zugeordnet, die Film- und Fotoaufnahmen anfertigten. Das Bildmaterial diente der Auswertung durch die eigene militärische Führung, wurde aber auch als Ausbildungsmaterial verarbeitet und für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt. Die Zuordnung der Fotografen zum Signal Corps hatte praktische Gründe. Die Entwicklung, Bearbeitung und die elektronische Übermittlung der Bilder ging damals zügig vonstatten – in Tagen gerechnet.
Hintergründe und Erläuterungen
René Rohrkamp, Leiter des Stadtarchivs, und Thomas Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter, leiten das Buch mit einem gut lesbaren, historisch-wissenschaftlich fundierten Text ein. Sie beschreiben die zeitlichen Abläufe und erläutern die Aufgaben und Funktionen des Signal Corps. Neben allen Fotos sind die unveränderten historischen US-Bildbeschreibungen sowie deren Übersetzung abgedruckt.
Zu fast jedem Foto gibt es ergänzende Erläuterungen, etwa welcher Ort zu sehen ist oder was gerade passiert ist. Ein Kleinod, das man zunächst neugierig durchblättert, an einzelnen Seiten hängen bleibt. Dann liest man das Buch einmal stringent durch, schaut sich alle Bilder genau an. Und man wird es später sicher immer mal wieder zur Hand nehmen. Zum Beispiel, wenn man umzieht und nachschauen möchte, ob es auch zur dann neuen Nachbarschaft etwas Historisches zu entdecken gibt im Buch.
Einziges Manko: Eigentlich hätten es die Fotos verdient, in einem großformatigen Bildband veröffentlicht zu werden. Manches Detail und mancher Bildhintergrund wecken die Neugier des Betrachters, aber bei einer Größe der Fotos einige Zentimeter über Postkartenformat lassen manche Motive blinde Flecken. Freilich würde das Buch als klassischer Bildband in kleiner Auflage nicht 20 Euro, sondern wahrscheinlich 150 Euro kosten. Dann doch lieber diese erschwingliche Variante.
Thomas Müller, René Rohrkamp (Hrsg.): Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Aachen 1944/45. Bilder amerikanischer Militärfotografen, Aachen 2024. 144 Seiten, 20 Euro. Das Buch ist direkt beim Stadtarchiv sowie im Buchhandel erhältlich.
Titelbild: Cover und Beispielseite aus dem Bildband (Fotos: Michael Klarmann)