Judith Pirscher im Gespräch über Kernfusion

Interview: Erstes Fusionskraftwerk ist die Vision

Published On: 26/03/2024

Der Strukturumbruch in Deutschland ist in aller Munde. Atomkraftwerke haben ausgedient, Windräder drehen sich auf den Wiesen und im Meer, Autos werden an Ladesäulen geladen, die in Deutschland nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Conny Stenzel-Zenner sprach mit Staatssekretärin Judith Pirscher vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über ein neues Zauberwort.

yonu: Woher soll unser Strom – bis zur Steckdose – in Zukunft kommen?

Judith Pirscher: Die Zukunft ist energieintensiv – denken wir nur an KI oder Quantentechnologie. Deshalb brauchen wir neue und effektive Technologien, die diese Energie bereitstellen und zugleich grundlastfähig sind und den Strommix der Zukunft CO2-neutral ergänzen. Dazu kann neben Strom aus erneuerbaren Quellen und grünem Wasserstoff auch die Fusion einen wichtigen Beitrag leisten.

yonu: Fusion ist das Zauberwort. Sie könnte CO2-neutrale Energie in großem Umfang liefern, ohne die Risiken und Altlasten der Kernspaltung. Damit könnte sie eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen. Ist damit die Kernfusion die Energie der Zukunft?

Judith Pirscher: Fusion ist die riesige Chance, all unsere Energieprobleme zu lösen. Die Frage ist längst nicht mehr, ob die Fusion kommt, sondern nur noch wann und ob Deutschland dabei ist. Wir haben zwar schon vieles erreicht, doch es liegt auch noch einiges an Forschung und technologischer Entwicklung vor uns. Genau an dieser Stelle setzen wir als Bundesministerium für Bildung und Forschung an und ergänzen unsere langjährige institutionelle Förderung der Fusionsforschung um projektbasierte Förderung.

Wir investieren insgesamt über eine Milliarde Euro in den nächsten fünf Jahren in die Fusion. Das Ziel ist klar: Mit dem Förderprogramm wollen wir den Weg zum ersten Fusionskraftwerk in Deutschland ebnen. Wir wollen ein Fusionsökosystem aus Industrie, Start-ups und Wissenschaft aufbauen, damit ein Fusionskraftwerk in Deutschland schnellstmöglich Wirklichkeit wird.

yonu: Was bedeutet Fusion?

Judith Pirscher: Unter Fusion versteht man die Verschmelzung leichter Atomkerne zu schwereren Atomkernen. Dabei wird Energie frei, die den Energiegewinn im Vergleich mit konventionellen Verbrennungsprozessen bei weitem überschreitet.

yonu: Warum wäre Fusion besser als die bisherigen Atomkraftwerke?

Judith Pirscher: Fusionsenergie bietet zahlreiche Vorteile. Sie ist ressourcenschonend, sauber, sicher, grundlastfähig und bezahlbar. Insbesondere gegenüber der Energiegewinnung aus Kernspaltung überwiegen die Vorteile deutlich. So sind bei der Fusion gefährliche, unkontrollierte Kettenreaktionen wie bei herkömmlichen Atomreaktoren physikalisch unmöglich. Ein Betriebsausfall im Fusionsreaktor würde die Reaktion unmittelbar stoppen. Außerdem entstehen bei der Fusion lediglich kurzlebige und schwach radioaktive Abfälle, die keiner Endlagerung bedürfen.

Drei Stufen auf dem Weg zum Fusionskraftwerk

yonu: Bis zu welchem Jahr soll es für die Bürger messbare Ergebnisse geben? Oder: Was ist das Problem der Kernfusion, weshalb noch kein Strom ins Netz eingespeist werden konnte?

Judith Pirscher: Wir sprechen von drei Stufen auf dem Weg zum Fusionskraftwerk: Die erste Stufe ist die Forschungs- und Entwicklungsphase. Die zweite Stufe ist die Transferphase für diese Ergebnisse und mit der dritten Stufe wollen wir die Betriebsphase erreichen. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass wir so schnell wie möglich auf dem Weg zu einem ersten Fusionsreaktor vorankommen. Gegen ambitionierte Ziele von Wissenschaft und Wirtschaft ist nichts einzuwenden.

yonu: Wird der Preis der Stromerzeugung mit Kernfusion mit den heutigen Preisen für Strom vergleichbar sein?

Judith Pirscher: Ja, nach aktuellen Berechnungen werden die Kosten einer Kilowattstunde in der Größenordnung von heutigem Grundlaststrom liegen.

yonu: Weltweit gibt es Start-ups, die sich mit dem Thema Kernfusion beschäftigen. Was sind das für Unternehmen?

Judith Pirscher: Ich freue mich, dass die Fusion in den letzten Jahren solche Fortschritte gemacht hat, dass sie international jetzt auch privates Kapital und junge Unternehmen anzieht. Es gibt weltweit inzwischen mehr als vierzig Start-ups, die mit ganz unterschiedlichen technologischen und wirtschaftlichen Ansätzen versuchen, dem Ziel Fusionsenergie näher zu kommen. Besonders erfreulich ist, dass vier dieser Start-ups in Deutschland beheimatet sind, zwei im Bereich der Magnet- und zwei im Bereich der Laserfusion.

 

Auch in unserer Region werden die Potentiale der Kernfusion erforscht: am Forschungszentrum Jülich.
Mehr Infos zum Stand der Forschung

 

Zur Person

Seit Januar 2022 ist Judith Pirscher Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Vor ihrem Wechsel nach Berlin war sie Regierungspräsidentin im Regierungsbezirk Detmold in Nordrhein-Westfalen, nachdem sie von 2011 bis November 2019 als Landesrätin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe für den LWL-Bau- und Liegenschaftsbetrieb sowie als Geschäftsführerin der Kommunalen Versorgungskassen Westfalen-Lippe tätig war.

Foto: Bundesregierung / Steffen Kugler